Altes Dokument über Kirchenkampf in Wesel entdeckt

Was Pfarrer und Presbyter des Kirchenkreises Wesel in der NS-Zeit bewegte

Pfarrer Albrecht Holthuis dokumentiert eine "vergessene" Episode aus der NS-Zeit im Kirchenkreis Wesel. Bei Recherchen im Kirchenarchiv fanden sich interessante Notizen von einer Pfarr- und Presbyterkonferenz am 13.9.1937 in Wesel.

Die Zeit des Nationalsozialismus hat auch die Evangelische Kirche im Kirchenkreis Wesel in ihren Grundfesten erschüttert. Darüber gibt ein seltenes Dokument Auskunft, das Pfarrer Albrecht Holthuis vor einiger Zeit im Kirchenarchiv fand, als er nach Dokumenten für die Geschichte der Ev. Kirchengemeinde Wesel im III. Reich suchte.

In dieser Zeit konnten Kreissynode wie Sie heute üblich sind, so gut wie gar nicht stattfinden, da staatliche Stellen daran offenbar kein Interesse hatten. Dennoch fand am 13. September eine Pfarr- und Presbyterkonferenz mit19 Pfarrern (es gab damals nur Männer im Pfarramt!) und 38 Ältesten statt.Blick vom Entenmarkt zum Willibrordi-Dom in den 30er Jahren (Foto: E. Maritzen - Kirchenarchiv Wesel)Blick vom Entenmarkt zum Willibrordi-Dom in den 30er Jahren (Foto: E. Maritzen - Kirchenarchiv Wesel)

Von dieser Konferenz gibt es ein ausführliches Protokoll des damaligenSuperintendenten Heinrich Müller aus Diersfordt bzw. Wesel und seinem Stellvertreter, Synodalassessor Pfarrer Joerdens aus Dingden.  Das Thema der Versammlung ist die „Zurüstung für den Tag der Diakonie" sowie „Unsere Gegenwartsaufgabe in Gemeinden und Synode".

 Unverblümt beschreibt Müller in seinem Vortrag die Situation als geprägt von „heftigen Angriffen gegen Kirche und Christentum". Man müsse sich daher eng zusammenschließen, zumal es seit viereinhalb Jahren keine Pfarrer- und Presbyterkonferenzen mehr gegeben habe. Der äußere Anlass für diese Konferenz sei der „Tag der Diakonie" gewesen.

Pfarrer Hell als Gastreferent von der Inneren Mission aus Mönchengladbach berichtet daraufhin von den Folgen für die Diakonie, nachdem der „totale Staat kam mit seinem Anspruch auf alle Gebiete". Seitdem sei die Arbeit beengt, die Kirche nur noch geduldet. Auch gebe es nun z.B. Sammelbeschränkungen bei Haussammlungen, was die Erträge erheblich reduziere. Habe die Innere Mission früher ein Monopol gehabt, so sei sie nun nur noch geduldet. Schwierigkeiten gebe es auch bei der Kinderpflege – auch dort wolle der Staat eine Politik der „Entkonfessionalisierung" durchsetzen. Die Kirche habe die „Jugend verloren", nun drohe auch „der Verlust des Kleinkindes". Auch sei der Dienst an „Schwachen und Kranken … in Mißkredit geraten". Gemeinde und die Arbeit der Inneren Mission gehörten aber zusammen und deshalb müssten sich beide Seiten stärker vernetzen. Die Anwesenden vereinbaren daraufhin, sich diesem Anliegen am „Tag der Diakonie" zu widmen und ihre Gemeinden dahingegehend zu unterstützen.

Superintendent Müller setzt dann in seinem Referat das Augenmerk auf die Gegenwartsaufgabe der Gemeinden allgemein und zwar im Hinblick auf die „Angriffe gegen das Christentum, denen eine Gemeinde in Einigkeit des Geistes entgegen treten müsse." Der gegenwärtigen Austrittsbewegung müssten sich alle Gemeinden entgegenstellen und zwar in „Einmütigkeit". Müller verweist auf das Beispiel in Dänemark, wo die deutsche Glaubensbewegung – gemeint ist ein Ableger der ("Deutschen Christen") in Dänemark - durch heftige Gegenwehr gescheitert sei. Man dürfe „sich die Bibel nicht beschmutzen" lassen und man solle wieder Kirchenvisitationen mit Gottesdienst, Vortrag und Jugendunterweisung durchführen.

Die Anwesenden schlagen dann noch weitere Maßnahmen vor, „damit Gemeinden und Kreissynoden wieder in Ordnung kommen". Müller meint, man solle „die Sache nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben" anpacken.

Die Konferenz machte deutlich, wie sehr die Teilnehmer – darunter auch ehemalige DC-Pfarrer, die es ja auch im Kirchenkreis Wesel gegeben hatte,  sich nun, nach vier Jahren NS-Diktatur, darüber einig sind, dass sie sich wehren müssen gegen die Einflüsse des Staates, um die Angriffe gegen die Kirche abzuwehren.

Insofern ist das Zeugnis ein Hinweis darauf, dass in dieser Phase des Dritten Reiches im Kirchenkreis Wesel eine große Einigkeit herrscht über die schwierige Lage der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Die anfängliche Begeisterung auch in kirchlichen Kreisen über die Machtergreifung Hitlers hat sich in wenigen Jahren aufgelöst und ist nun einer Proteststimmung gewichen. Allerdings reichte dieser Unmut offensichtlich nicht aus, viel massivere Ungerechtigkeiten wie die Verfolgung der Juden sowie parteipolitischer Gegner anzuprangern.