Wesel als Ort der Reformation

Wie Wesel evangelisch wurde

Wenige Monate vor dem Beginn des Reformationsjubiläums beschreibt Pfarrer Albrecht Holthuis wie Wesel zu einem wichtigen Ort der Reformation wurde

Wesel - ein evangelischer Dom zeugt vom „gastfreundlichen Wesel“

Der Willibrordi-Dom, die evangelische „City-Kirche“ in Wesel, legt schon von seiner Größe her Zeugnis ab für die Bedeutung der Stadt Wesel in der Reformationszeit. Die heutige Gestalt der Kirche entspricht in den Grundzügen der fünfschiffigen mittelalterlichen Basilika der Spätgotik, die zwischen 1500 und 1540 errichtet wurde. Damals war Wesel Mitglied des Hansebundes und eine der bedeutendsten Handelsstädte im Rheinland. Die Bezeichnung „Dom“, die ja in der Regel mit einem (katholischen) Bischofssitz in Verbindung gebracht wird, hat allerdings andere Ursprünge. Jahrhundertelang war sie die „Groote Kerk“ und neben der ebenfalls beeindruckenden Mathenakirche das  bedeutendste Gotteshaus der Stadt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Kirche in Trümmern lag, setzte sich die Bezeichnung „Dom“ durch. Man kann dieses im Zusammenhang mit den Bemühungen um den Wiederaufbau sehen, denn vor allem  „Dome“ wurden seit den 50-er Jahren durch Einnahmen aus „Dombau-Lotterien“ primär gefördert.

Dank dieser öffentlichen Mittel  aber vor allem dank der Förderung durch Mitglieder der Evangelischen Kirchengemeinde, Weseler Bürgerinnen und Bürger und insbesondere des Dombauvereins ist der Willibrordi-Dom nach der fast totalen Kriegszerstörung 1945 wieder zu einer strahlenden Kirche geworden. Hier ist sowohl die Geschichte lebendig, aber auch die Moderne mit der Orgel und ihrem Prospekt (1999) sowie den neuen Prinzipalstücken von Altar, Kanzel, Ambo (2013) kommt zu ihrem Recht.

Während auf der anderen Rheinseite oder im nahen Westfalen nach wie vor die katholische Präsenz überall  deutlich stärker zu spüren ist und sich zumeist in den größeren katholischen Kirchenbauten manifestiert hat, sticht Wesels Evangelische Kirchengemeinde mit dem Willibrordi-Dom als evangelische „Bastion“ ein wenig heraus, wenn sich das auch heute an den Mitgliederzahlen nicht mehr so belegen lässt. Denn diese zeigen, dass die katholischen Christen auf dem gesamten Stadtgebiet mit den Eingemeindungen von katholisch geprägten Dörfern inzwischen wieder leicht die Mehrheit stellen.

Das war aber  im Verlauf der Reformationszeit mitnichten so. Wesel war im 16. Jahrhundert nach Eintritt in die Reformation eine bedeutende fast rein evangelische Enklave im Herzogtum Kleve und  galt bald als „vesalia hospitalis“ („gastfreundliches Wesel“) - als Zufluchtsort für Glaubensflüchtlinge vor allem aus den Niederlanden und Flamen. Aber wie kam es nun dazu, dass Wesel neben La Rochelle und Genf in der Reformationszeit zu einer calvinistischen Hochburg wurde, so dass Gegner den Spruch verbreiteten: Genf, Wesell und Rochelle, seyndt des Teufels andre Höll'“?

Als Martin Luthers 95 Thesen gegen den Ablasshandel die Reformationsbewegung entfachten, hatten Wesel und im Hintergrund der einflussreiche Herzog von Kleve zwar eine (innerkirchliche) Reform der Kirche im Blick, aber zu diesem Zeitpunkt keinerlei Sympathie für die Gedanken aus Wittenberg. In den Folgejahren wurden aber vor allem im hiesigen Dominikanerkloster von einzelnen Mönchen Bibeltexte reformatorisch ausgelegt.

Auch Adolph Clarenbach, der eine kurze Zeit von 1523 bis 1525 als Konrektor der Lateinschule in Wesel tätig war, sorgte mit dafür, dass eine reformatorische Bewegung in der Stadt entstand und zunehmend auch Rückhalt im Weseler Rat fand. Anfänglich setzte sich aber der Einfluss des Herzogs von Kleve durch, der in diesen Jahren erklären ließ, dass Martin Luthers Lehre Ketzerei sei und sie unter Androhung von Strafe im Herzogtum – und damit auch in der Stadt Wesel - verboten sei.  In der Folgezeit gab es weiterhin Versuche, sich der Reformation Luthers anzunähern. Sie wurden aber letztlich durch die Zwischenetappe des Aufkommens von Wiedertäufern in der Stadt aufgehalten. Durch die radikalen Täufer, die allesamt vor Gericht gestellt wurden, wurde die evangelische Sache für einige Jahre diskreditiert und in die Defensive gedrängt. Aufgehalten werden konnte sie aber nicht.

Vor allem dank des reformfreundlichen Bürgermeistes Wessel van Bert sowie des neuen Predigers Iman Ortzen wurde die Entscheidung Wesels zugunsten der Reformation vorbereitet. Iman Ortzen war ab 1536 neben dem papsttreu gesonnenen Anton von Fürstenberg zum Prediger (Kaplan) an der Willibrordi-Kirche bestellt worden. Als er wegen seiner evangelischen Predigtweise von Fürstenberg angegriffen wurde, verteidigte und unterstützte ihn der Rat der Stadt Wesel.

Schließlich trat am Palmsonntag 1540 auf dem Markt nach dem Abendgottesdienst eine Abordnung der Bürgerschaft auf die beiden Bürgermeister, Wessel von Bert und Johannes Schilling, zu. Sie übergaben ein schriftliches Bittgesuch: In Wesel möge doch das Heilige Abendmahl gemäß der Einsetzung Christi und in der Form, die jetzt gelehrt würde, nämlich unter beiderlei Gestalt, gereicht werden. Dieses Bittgesuch wurde vom Rat der Stadt Wesel befürwortet, der wiederum den Herzog bat, dieses zu unterstützen. Der Herzog, der inzwischen in Sachen Kirchenangelegenheiten die Zügel lockerer hielt, lenkte schließlich ein.In der Antwort hieß es: Er sei ein weltlicher Fürst, diese Frage ginge die geistliche Obrigkeit an. Er habe darin nicht zu gebieten und zu verbieten. Doch stelle er frei, dass die, die recht unterrichtet und verständig wären, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen dürften. Die es aber noch nicht verstünden oder aber diesen Wunsch nicht hätten, sollten nach ihrem Gewissen handeln.

Am ersten Ostertag 1540 wurde das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, also in evangelischer Form mit Brot und Wein, gefeiert. Auch außerhalb Wesels galt von da an die Stadt als evangelisch.

Im weiteren Verlauf der Reformation wandte sich die Stadt schließlich mehr und mehr dem calvinistischen (reformierten) Zweig der Reformation zu. Sicher war das auch dem Ansturm der vielen calvinistisch geprägten Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden geschuldet. Diese fanden angesichts der Verfolgung unter dem katholischen Herzog Alba in den Niederlanden Zuflucht in Wesel und prägten allein durch ihre hohe Anzahl das Glaubensleben in der Stadt.

Aus dieser Zeit stammt auch der sprichwörtliche Ruhm Wesels als „vesalia hospitalis“. Diesen Ehrennamen erhielt Wesel 1578 von flämischen Religionsflüchtlingen, die sich in unserer Stadt herzlich aufgenommen fühlten. 1568 hatte hier zuvor der „Weseler Konvent“ stattgefunden, der die wesentlichen Prinzipien einer „presbyterial-synodalen“ Kirche, wie sie im Rheinland noch heute prägend  sind, hat. Das heißt: Die Leitung von Kirche und Gemeinden liegt auf allen Ebenen bei gewählten Mitgliedern und geschieht grundsätzlich gemeinsam.

Im 19. Jahrhundert wurde die Evangelisch-reformierte Gemeinde  Wesels zusammen mit der kleineren lutherischen Gemeinde Wesel  als „Evangelische Kirchengemeinde Wesel“  vereinigt (1817). In 20. Jahrhundert bildeten sich bedingt durch die geschichtlichen Ereignisse die heutigen kirchlichen Zentren aus. So wurde die Kirche am Lauerhaas 1931 in Obrighoven erbaut. Nach der Zerstörung  der beiden evangelischen Stadtkirchen (Mathena-Kirche und Willibrordi-Kirche) im Zweiten Weltkrieg begann dann der Wiederaufbau des Willibrordi-Domes, der im Grunde bis in die gegenwärtige Zeit andauert. Schließlich wurden in den Stadtteilen Fusternberg 1949 mit der Gnadenkirche  und 1965 in der Feldmark  mit der Friedenskirche neue Gemeindezentren errichtet.

Die Geschichte der Gemeinde, die von Gastfreundschaft, Öffnung und Toleranz und evangelischen Traditionen geprägt ist, ist auch eine Verpflichtung für heutige und künftige Generationen ihrer Mitglieder. Das alte Siegel, das bis heute  in der Gemeinde gebräuchlich ist, zeugt von diesem Geist.  Auf ihm ist ein niederländischer Flüchtling mit einem Spruchband dargestellt. Das Spruchband trägt die lateinische Aufschrift “hospis fui et collegistis me”. Zu Deutsch: “Ich war ein Flüchtling, und ihr habt mich beherbergt.“ ( Matthäus 25,35.)

 

Quelle:

„Unnder beider gestalt - Die Reformation in der Stadt Wesel“, Weseler Museumsschriften, Band 26, Hrsg. Werner Arand, Wesel 1990